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Vom Chaos zum Kosmos. Die Methoden und Malstrategien von Lars Theuerkauff
Text von Oliver Rätzel
"Die Aufgabe des Künstlers besteht darin, das darzustellen, was zwischen dem Objekt und dem Künstler steht – nämlich Schönheit, die Atmosphäre und das Unmögliche."
– Claude Monet
Fingerfarbenmalerei käme einem zuletzt in den Sinn, wenn man eine Ausstellung des Malers Lars Theuerkauff besucht. Ganz im Gegenteil, man stellt sich beim Betrachten seiner tizianischen Malweise eher ein Atelier vor, das mit Pinseln, Spateln und Malwerkzeugen aller Art vollgestellt ist.
Besucht man Lars Theuerkauffs Atelier, in dem er manchmal auch wohnt und schläft, ist nichts dergleichen zu sehen. Zum Malen dienen dem Künstler lediglich eine Palette, ein altes Palettmesser, Acrylfarbe und, tatsächlich, seine Hände, mit denen er in direktem Kontakt die Farben aufträgt. Von den Bildern – Theuerkauff arbeitet immer an drei bis vier Werken gleichzeitig – hängt immer eines neben dem Balkonfenster im idealen Arbeitslicht.
Wer Theuerkauffs Malen ohne Pinsel erlebt, wird Zeuge eines unmittelbaren, sehr körperlichen Kreationsprozesses. Nach einer groben Anlage des Motivs auf der Leinwand mittels Palettmesser wird mit der rechten Hand Farbschicht um Farbschicht aufgetragen, da wird gezogen, gerieben, hingespritzt, mit dem Daumenballen abgewischt – und was die Hand noch an unzähligen weiteren Möglichkeiten bietet.
Skrupolös setzt Theuerkauff mit den Fingerkuppen helle Farblichter ins Bild, die, kaum dass sie stehen, wiederum mit ein, zwei fächelnden Bewegungen des Handrückens weich und unscharf gemacht werden – um schließlich mit einem kräftigen Aufdrücken des Handballens doch wieder etwas vom gerade genommenen Licht zurückzubekommen. Mit solchen Handbewegungen arbeitet der Maler an allen Partien eines Bildes, fast gleichzeitig, möchte man glauben, wenn man dem Maler bei der Arbeit zusieht. An den dunklen wie an den hellen Stellen, an diffizilen Details ebenso wie am summarischen Hintergrund. Dieser flirrende Malprozess wird nur unterbrochen vom gelegentlichen Vor- und Zurücktreten des Künstlers, dann, wenn er blinzelnd den Zustand des Werks prüft, immer wieder seine Meinung ändert, mit dem Wassersprüher Bildteile neu befeuchtet. Zuweilen drückt er angetrocknete, schon krümmelnde Farbe aus dem Tubenhals direkt ins Bild, verreibt die Farbbrocken rasch mit dem Handrücken oder lässt sie als dicke Krumen einfach stehen. Dabei klebt ihm schon längst eine andere Farbe an den Fingern, ein dreckiges, schmodderiges Grau, das zudem übel riecht, und mit dem es eine eigene Bewandtnis hat … Diese Handgemenge beginnen immer wieder von Neuem, bis das Bild zum Trocknen abgehängt werden muss und von einem der anderen in Arbeit befindlichen Werke ersetzt wird. Zwischendrin nimmt Theuerkauff immer wieder einen kräftigen Schluck aus einem großen, irdenen Humpen: lauwarmer, schwarz gebrühter Tee.
Im Laufe dieses langsamen, allmählichen Verfassens seiner malerischen Gedanken im Stehen, in diesem ständigen Verwerfen und Neuentdecken malerischer Ideen, im Infrage stellen ganzer Partien (man müsse, sagt Theuerkauff, „immer neue Proportionen suchen, hinterfragen, aufbrechen“), ja im Infragestellen des ganzen Bildes durch eine neue Farbe, eine neue Atmosphäre, kann es im glücklichsten Fall passieren, dass der Maler das ganze Bild in ein neues, anderes Licht rückt. Er setzt es in eine noch nicht dagewesene Stimmung und zwingt sich selbst zu neuen Schlüssen und Wegen, die zu gehen Kompass und Karte seiner Kunst sind. Läuft es weniger glücklich, dann hat sich der Künstler verlaufen: Solche Bilder betrachtet er als ruiniert.
Achtzig Prozent seiner Arbeitszeit an einem Bild, meint Lars Theuerkauff, bestehen aus diesem Laborieren mit der Farbe auf der Leinwand. Den Rest verwende er auf das Anlegen des Motivs: Diese ersten Bildentwürfe sehen auf der ungrundierten, grauen Leinwand sehr plakativ und sehr genau aus. Das liegt an der präzisen Übertragung von einer fotografischen Vorlage, von der noch zu reden sein wird. Hier wirkt noch alles frisch, beinahe lecker gemalt und: eigentlich schon fertig.
Tatsächlich geht es an diesem Punkt aber erst los. „Ich fange mit Neonfarben an, wenn die Silhouetten aufgezogen und die Komposition gemacht ist. Sicher verändert sich dann auch nochmal was, aber der Grundbogen ist da. Und dann geht es los, dann kommt das Funkeln dieser Farben. Die bauen eine solche Gegenenergie untereinander auf “Ich bin sehr dankbar über diese Neonfarben. Die hab ich gesehen bei einem befreundeten Maler, die sind echt eine Hilfe. Obwohl ich diese Farben an und für sich ziemlich hässlich finde, bringen die solch ein Leuchten rein. Hinterher sind sie kaum noch sichtbar, aber am Anfang befreien sie die Form. Da ist ja erstmal der Grauton der rohen Leinwand, dazu die Höhen und Tiefen des Gewebes. Wenn dann Neonfarben draufliegen, greifen sie die Formen an, lösen sie auf und versetzen das Ganze in eine besondere Schwingung und Spannung. Alles kommt in Fluß.“
Im weiteren Malprozess wird dieses Pulsieren dann immer wieder angehalten, indem Lars Theuerkauff aus einem Behältnis den bereits erwähnten, trübgrauen Schmodder auf die Leinwand montiert. „Alle meine Farbreste sammele ich in diesem Gefäß. So entsteht dieser Grauton, der sich naturgemäß mit dem Malprozess verändert. Beispielsweise von einem kühlen, bläulichen Grau hin zu einem wärmeren Grüngrau – je nachdem, welche Palette ich gerade verwende. Aber es bleibt immer ein grauer Ton: Nach einer heftigen Malphase, wie am Anfang mit den sehr knalligen Neonfarben, wo es spritzt und die Farben nur so fliegen, wo ich den Kontrollverlust herausfordere und versuche, aus meiner konzeptionellen Fassung herauszukommen, folgt eine ruhigere Phase mit eben diesem Grau, das alles wieder nivelliert, vereinfacht und luftig macht: Das ist meine Nullfarbe!“
Wie Lars Theuerkauff seine Bilder malt, kann man in seinem Atelier erleben. Was er malt, ist auf den Bildern zu sehen: Ohne klar definierte Hintergründe werden Menschen, ganz auf sich gestellt in ihrer Leiblichkeit und meist nackt, aus ihrem unmittelbaren, unklaren Umfeld heraus modelliert, geschöpft aus Licht. Aus Licht, welches die Portraitierten changieren lässt zwischen Verletzlichkeit und Präpotenz. Findet man ausnahmsweise einmal zwei Menschen in diesen Bildräumen vor, dann ist schon viel los an innerer Spannung. Und so sieht man Doppelfiguren auch nur in innigen Beziehungen von hoher emotionaler Komplementarität, wie in Theuerkauffs Mutter und Kind-Serie.
So, wie in seinem eigentlichen Malprozess kontemplative und aggressive Phasen Hand in Hand gehen, so, wie die Bilder die Seh- und Sichtweisen des Betrachters immer wieder in Frage stellen, so ist es Lars Theuerkauff von der Motivfindung bis zur endgültigen Komposition vor allem darum zu tun, sich mit keiner naheliegenden Antwort zufrieden zu geben. Wenn es dann schließlich soweit ist, dass der Maler sich für ein Bildmotiv entscheidet, sei es – gelegentlich – ein vorgefundenes aus Printmedien oder dem Internet, sei es – was die Regel ist – durch ein Bild, das er in aufwendigen Fotoshootings selbst inszeniert hat, immer werden diese Fotografien doch dem gleichen Verfahren unterworfen: Zunächst wird das bereits als Fotodruck existierende Motiv gewissermaßen aus seinem Rahmen gerissen: „Ich überprüfe und hinterfrage die Formen, indem ich mehrere Bilder eines Motivs auseinanderrupfe und ein klein wenig anders wieder zusammensetze. Das tue ich, um die durch das Foto perfekten Proportionen aufzubrechen. Um das Fotomotiv aus seiner unantastbaren, technischen Welt herauszuholen. Für mich ist schon ein versehentlicher erster Knick in der Fotovorlage ein Zurückholen in das Leben.“
Mit einem Fotohandy, das sich aufgrund seines unbestimmten Alters den meisten technischen Möglichkeiten von heute versagt, fotografiert der Künstler das Motiv von seinem Notebook ab. Er hält die Kamera dabei nicht etwa parallel zum Bild-schirm, sondern in einem leicht schrägen Winkel – eine weitere Verfremdung des ursprünglichen Motivs. Eine graduelle zwar, doch der Effekt ist verblüffend: Jede noch so kleine Änderung der Perspektive verändert Farbe, Form und Stimmung des ganzen Motivs, wie auf dem diagroßen Screen des Fotohandys sofort zu erkennen ist. Die Farben verschiedener Aufnahmen ein und derselben Figur oder Sache changieren beispielsweise von einem gelbstichigen Grün bis zu einem warmen Orange. Zufälliges Wackeln der Handykamera verwandelt die Helligkeitswerte von Körpern und Räumen – von heraufziehender Nacht hin zu dämmerndem Tag.
Genau wie in Theurkauffs eigentlichem Malprozess, der mit dem konzentrierten Sich-Abarbeiten an der nüchternen Linie beginnt und dem stets ein chaotischer, das Scheitern des Kunstwerks in Kauf nehmender Funkenflug aus Farbspritzern folgt, so entdeckt man auch in seiner Motivgestaltung schon in der Vorbereitung den unbedingten Willen zur Kontingenz: „Es geht auch um die Möglichkeit, das Bild zu verlieren. Ich will es nicht und will es doch. Ich will die Kontrolle. Ich will aber auch die Kontrolle erarbeiten. Ich will es verlieren, ich will es aber auch wiederkriegen. Ich will immer an diese Kante kommen, an der das Bild ernsthaft scheitern kann. Es gab auch ein paar Bilder, die raus waren. Nicht viele, aber bei einem habe ich mal gedacht: das ist richtig versaut, wirklich verloren. An dem habe ich später nochmal eine neue Farbe ausprobiert: und plötzlich war es da! Es war so ein Weißton, der lief – je ne sais quoi – wie so ein Schaum und hatte plötzlich eine Art von Licht, das du noch nie in einem Foto gesehen hast – und in echt schon gar nicht. Ein ganz eigenes Licht!“
Es ist dunkel geworden. Im Atelier strahlen Scheinwerfer auf die Bilder. Der Tee wärmt längst nicht mehr. Eine Frage zum Abschluss bleibt: Wozu dieser enorme malerische Aufwand? Wozu dient dieses mit fast wissenschaftlicher Akribie betriebene, darstellende Studium einer eigentlich nicht abbildbaren Dingwelt? Denn abbilden lässt sich bestenfalls die Vorstellung, die wir von den Dingen haben; auch die vermeintlich technische Neutralität der Fotografie und anderer technischer Bildmedien lässt uns ja nichts anderes sehen als das, was wir sehen wollen, als den Blick, für den wir die Apparate gebaut haben. Und sehen wollen wir immer, je mehr, desto lieber. Selten war das so offensichtlich wie heute: Ein so bis vor kurzem nicht vorstellbarer Bilderschatz, der des Internet, hat die privilegierte Bildherrschaft der Maler gebrochen, die Digitaltechnik hat das Recht, Bilder zu verändern, an alle verteilt. Dieser Bilderschatz ist mittlerweile in so kleiner Münze ausgegeben worden, dass ein jeder sie wie ein kleiner König in den Händen hält. Bloß mit der unaristokratischen Plicht und Aufforderung, jetzt alles selbst machen zu müssen. Und ginge es mit rechten Dingen zu, müsste uns diese nie dagewesene Bildkompilation eher dazu verführen, unseren horror vacui aufzugeben und frei zu werden von den Zwängen, dauernd Bilder zu machen, sie zu verbreiten und betrachten zu müssen. Es gibt ja alle Bilder schon, im Netz. Und sie sollten uns eher dazu anstiften, endlich das freie Sehen zu lernen.
Warum also betreibt Lars Theuerkauff seine, nebenbei bemerkt, fröhliche Vermischung des additiven, physiologischen Farbkreises mit dem subtraktiven System der physikalischen Farbenlehre? Warum vermengt er seine radikal subjektiven Malweisen mit objektiven Bildgebern wie der Kamera? Wozu macht er sich seine Gedanken und entwickelt Theorien, versucht im Gespräch in fragilen Metaphern die Kunst in Worte zu fassen – ein bekanntermaßen aussichtsloses Unterfangen? Vielleicht, um uns hinaus ins Offene treten und, wie nach einem Museumsbesuch, die Welt mit neuen Augen sehen zu lassen. Vielleicht, um für uns Betrachter den nicht zu ermessenden Bilderberg, den nicht enden wollender Strom der Abbilder, zu vermessen und irgendwie greifbar zu machen.
Am Ende seiner Bemühungen – seiner Reise durchs einsame Land des künstlerischen Schaffens, seines dauernden Versuchs, gefasste Gewissheiten hinter sich zu lassen, Abgründe und nicht gekannte Grenzen auszuloten – an diesem Ende also mag es dann sein, dass der Künstler sich jenseits dieser Grenzen fassungslos selbst als Fremder begegnet. Denn dann kann es geschehen, dass der Künstler aus dem dionysisch-apollinischen Wechselbogen hervortritt.
Die ungeordnete Dunkelheit des Chaos hinter sich lassend, legt sich über das geduldige Personal in Lars Theuerkauffs Bildern nach und nach ein magisches Licht, nicht unähnlich jenem, welches aufschiene, fänden wir uns, aus einem gewaltigen Kataklysmus gerettet, am sicheren Strand wieder. Nein, nicht das Licht selbst sähen wir, es würde uns blind machen vor Sehnsucht, aber an seinem zarten Widerschein